Getting closer - landscape
Annäherungen an Caspar David Friedrich
2022 - 2024
Künstlergespräch zur Ausstellung Susanne Kiebler: Landschaft. Malerei und Zeichnung mit der Kunsthistorikerin Andrea Gamp, am 15.10.2023, Galerie Bagnato Andrea Gamp: Betrachtet man die bisherigen Werkserien, so kennzeichnen sie insbesondere Zeichnung und Abstraktion. Dies meint, auf den feinen Bleistiftstrich der Akademiestudentin, folgten das grafische Ausreizen der Linie sowie das digitale Experimentieren, Zeichnungen auf Computer und Smartphone der Kunstpädagogin und freischaffenden Künstlerin. Und schließlich geht es dir um die Transformation der Digitalstrukturen in das Medium Malerei, wie die neueren Arbeiten aus Tusche und Akryl veranschaulichen. So tauchten Besucher deines Ateliers zuletzt gerne in verschneite Gebirgslandschaften aus Schwarz-weiß-Kontrasten auf Papierbahnen oder Leinwand ein. Angeregt durch deine Reisen und deine Lehrtätigkeit in der Mongolei hast du dir ein spezielles ‚Zeichengerät‘ angefertigt: einen überdimensionalen Pinsel aus Pferdeschweifhaaren, der an einer selbst entworfenen Vorrichtung mit der Atelierdecke verbunden ist. Wie ein großes Lenkrad an Drahtseilen kann dieser Pinsel gestisch in alle Richtungen über Papierbahnen gezogen werden, um jedes Mal den Pinselduktus als einzigartig geformte Farbspur zu hinterlassen: Zeichnung wird Malerei, der Bildbegriff in den Raum versprengt. Seither wetteifern Papiercollagen mit Farbe auf Leinwand und Holz. Kurz gesagt: Du selbst definierst deinen künstlerischen Weg über den Ursprung in der Zeichnung, bevor du in die Abstraktion gegangen und die Transformation in die Malerei geschafft hast. Oder überspitzt ausgedrückt, nach der Begeisterung für Cy Twomblys Strich und Elizabeth Peytons Palette gibt es wieder neue Inspirationen. Frage: Zum jetzigen Zeitpunkt in deiner Entwicklung sprichst du von einem „Umbruch“ in deinem Œuvre – wie beschreibst du das, was jetzt anders ist? Susanne Kiebler: Nach Jahrzehnten der abstrakten Malerei finde ich gerade zurück zur figurativen Malerei. In den 1980-Jahren, als ich an der Kunstakademie in München studierte, war die abstrakte, gestische, informelle Kunst en vogue. Alle malten so und wurden auch mehr oder weniger in dieser Richtung gedrängt. Klar, dass man als junge Künstlerin davon beeindruckt war und sich beeinflussen ließ. Deshalb bezeichne ich meinen aktuellen Arbeiten als Umbruch. „Zurück“ klingt immer rückwärtsgewandt, aber für mich bedeutet das einen Rückbesinnen auf meinen alten, künstlerischen Weg, mit dem ich begonnen habe. Das Zurück steht für mich für einen Aufbruch. Es geht um Erforschung, Wagnis, Neuland in der Malerei betreten. Aber mit der Erfahrung der lange erprobten, abstrakten, malerischen Techniken im Gepäck… Andrea Gamp: Hier gehen wir zunächst nochmals einen Schritt zurück, zur Landschaftsmalerei allgemein… Die Landschaft als Bildgattung hat heute weder ein akademisch untergeordnetes (17. Jahrhundert), noch ein metaphysisch überhöhtes Image (Romantik): Ebenso wenig gilt das Genre als verstaubt in der Kunstwelt. Insbesondere Waldzyklen und Baumdarstellungen sind durchaus wieder beliebt, nicht zuletzt durch die Werke von bedeutenden zeitgenössischen Künstlern, zum Beispiel Gerhard Richter oder David Hockney, selbst von der jüngeren Generation, wie David Schnell (BMX-Exkurs). Frage: Was reizt dich als Künstlerin am Genre Landschaft? Wie erschließt du dir Landschaften und wie bringst du sie konkret ins Bild? Susanne Kiebler: An dieser Stelle würde ich zunächst die Liste gerne noch um weitere Vorbilder ergänzen: Ich schätze die Malerei von Cecily Brown, Flora Yukhnovitch, Etal Adnan, Mamma Anderson, um nur um ein paar Wenige zu nennen. Natürlich auch die Werke von Peter Doig, David Hockney oder Rachel Lumsden, die ich persönlich kennenlernen durfte. Das Genre Landschaft reizt mich grundsätzlich und ich möchte erwähnen, dass ich dabei Landschaftsmotive ohne Personen bevorzuge. Landschaft war in der Malerei schon immer die abstrakteste Form der Malerei. Am besten nachzuvollziehen an den Bildern des Briten William Turner, einem der bedeutendsten Landschaftsmaler des 19. Jahrhunderts, dem es um die Entmaterialisierung des Gegenständlichen ging .Er malte Licht, Nebel, Wasser…Somit eignet sich Landschaft sehr gut als Metapher für Malerei an sich. Landschaft hat keinen narrativen Erzählcharakter, anders als Bilder mit Figurensituationen. Es geht also um die reine Malerei. Andrea Gamp: …Umgekehrt meine ich, dass deine Schritte auch von Rezipientenseite, also im Wahrnehmungsprozess des Betrachters nachvollzogen werden. Mit dem Stichwort ‚Figuration‘ gedacht: Landschaft entsteht sukzessive im Vorgang des Betrachtens des Bildes! Abstrakte Farblinien, -kleckse, -spritzer, Punkte und Fließspuren, Pinselstriche und Flächen, sowohl Farbauftrag als auch digitale Einträge geben plötzlich eine Landschaft frei. Während des intensiven Schauens gewinnt der Betrachter den Eindruck, selbst in der Landschaft zu sein. Das Auge tastet Papierbahnen, Leinwände oder Holzplatten selbst auf minimale Farbspuren und Formen ab, ‚pflanzt‘ beispielsweise über Linien Schilfhalme, lässt Lasuren Wellen schlagen, bildet aus zwei gekreuzten Linien ein Seeufer dazu… und schon ist es eine Landschaft aus nächster Nähe! Andrea Gamp: Zwei Sujets dominieren die hier ausgestellten Bildserien: Gebirgswelten und romantische Waldlandschaften nach Caspar David Friedrich… Es wäre sicherlich zu kurz gegriffen, diese beiden Themenkomplexe einerseits allein auf deine persönlichen Interessen, Reisen sowie die Naturverbundenheit und Faszination für das Gebirge beim Mountainbiken zurückzuführen. Zu profan erscheint mir andererseits auch die Begründung in aktuellen Ausstellungen (anlässlich des Jubiläums 250 Jahre CDF 2024), unter anderem in Winterthur und Hamburg oder gar durch eine millionenschwer angesetzte Versteigerung von CDFs „Karlsruher Skizzenbuch“ nächsten Monat… Frage: Wie kommt es, dass Susanne Kiebler heute Gebirgs- und Waldlandschaften ins Bild setzt und dabei in Ausschnitten den großen romantischen Maler CDF zitiert? Susanne Kiebler: CDF steht für uns heute als der große deutsche Maler der Romantik. Er hat in einer Zeit gewaltiger gesellschaftlicher Umbrüche gearbeitet: Es war die Zeit nach der Französischen Revolution, Napoleon eroberte Europa, das Zeitalter der Industrialisierung begann…Er war einer der ersten Maler, der menschenleere Landschaften malte, ein Minimalist sozusagen, der das “Less is more“ in Bildern entdeckte. Er sah Natur als Andachtsraum, als Rückzugsort – zeitgenössisch ausgedrückt: Bei ihm ist die Natur erhaben, staunens- und schützenswert…. Er hat das Verhältnis von Mensch und Natur für seine Zeit neu definiert. Ein Ansatz, der sehr aktuell und zeitgemäß ist. Romantische Bilder wollten nicht unbedingt ein Ziel erreichen, so eine Art „take home message“ liefern, sondern eine ästhetische Erfahrung ermöglichen. Die Bilder boten neu für die damalige Zeit eine neue Freiheit des Sehens an. Landschaften kann man als Projektionsräume begreifen – sie laden ein, sich darin zu spiegeln… ihr Gehalt entfaltet sich beim Betrachten … Landschaften in meinen Berglandschaften und in den Motiven von CDF sind eine Metapher für unser Verhältnis zur Natur. Wir haben ein ambivalentes Verhältnis zur Natur. Sind Opfer und Täter geleichzeitig. Es ist wie die Sehnsucht nach dem verlorenen Gefühl romantischer Sehnsucht. Andrea Gamp: CDF ist nicht zuletzt kunsttechnologisch aufgrund seiner komplexen Malschichten in Öl und im Bildaufbau interessant, seine ‚aufgeladenen‘ Bildgründe lassen transzendentale Interpretationen zu. Du aktualisierst Elemente des komplexen CDF-Systems auf eine ganz andere, erfrischende Weise. Frage: Wie gelangst du zur Umsetzung, beziehungsweise welche Schritte umfasst deine künstlerische Praxis und wie ist dein Bildaufbau? Susanne Kiebler: Von 2009 bis 2023 unterrichtete ich digitales Zeichen mit Smartphones und Tablets an der Pädagogischen Hochschule Thurgau. Das hat auch meine eigene Malerei und Maltechnik geprägt. Seit langem setze ich das digitale Zeichnen mit einer Zeichenapp auf dem Smartphone in der Skizzenphase eines jeden Bildes ein. Das Smartphone ist sozusagen mein digitales Skizzenbuch. Die Technik des digitalen Bildaufbaus übertrage ich ins Analoge: Beim digitalen Zeichnen fügt man Fotos auf eine Bildebene ein, spielt mit Transparenzen, mit lasierenden Farben unterschiedlichen Malwerkzeugen, probiert Malstrukturen aus. Beim analogen Arbeiten vergrößere ich Fotokopien meiner eigenen Fotos (zum Beispiel bei den Bergmotiven) oder Motiven der CDF-Landschaften. Diese Kopien werden ausschnitthaft auf die Bildträger geklebt, lasierend übermalt, gerissen, abgeschliffen und immer wieder neu übermalt. So entsteht ein dichter Bildaufbau. Durch die Klebe-und Malprozesse bilden sich oft Farbhäute und reliefartige Oberflächen. Aus einer eher kühl wirkenden digitalen Zeichnung wird eine sinnlich erfahrbare, haptische Malerei… Als Bildträger fungieren Leinwände, aber auch Holzplatten und Alucobond-Platten. Gemalt wird mit Acrylfarben und Tusche. Andrea Gamp: Warum und wie Schwarz und Weiß bei dir ins Bild kommen, dürfte anhand unserer bisherigen Ausführungen deutlich geworden sein (Zeichnung, Abstraktion, asiatische Inspirationen, Tusche, Rosshaarpinsel, etc.) beziehungsweise zeigen uns abermals die Gebirgsserien „Weiter Blick I-III“, 2022 und „Zerfreila I-IV“, 2023 sowie das Panorama „Soweit das Auge reicht II“. Frage: Wenn dann Farbe bei dir ins Spiel kommt – weshalb bevorzugt Rosa und Blau? Susanne Kiebler: Die Farbe wird in den Bildern nicht im Sinne von Lokalfarben eingesetzt, also Farben wie sie in der Natur vorkommen. Mir geht es darum, über die Farben eine Distanz zum eigentlichen Motiv zu gewinnen, indem ich Farben entweder weglasse,- wie bei den schwarz-weiss Bildern- oder sie bewusst expressiv einsetze, als Antilokalfarbe verwende. Manche Farben mag ich sehr gerne, sie begleiten mich schon lange, so zum Beispiel das warme Cyanblau oder ein helles Rosa… Andrea Gamp: Wesentlich für Vergleiche ist außerdem, dass es trotz deines neuen, figurativen Fokus kaum vorhandene menschliche Figuren in deinen Bildern gibt… Weder in der Funktion von Staffage noch als aufmerksamkeitsstarke und die Komposition stützende Rückenfiguren, wie man sie aus einigen von CDFs berühmtesten Gemälden kennt („Der Mönch am Meer“ 1808-10, „Wanderer über dem Nebelmeer“ um 1818, „Mann und Frau den Mond betrachtend“ um 1824). Lediglich ein Detail, den Fischer im Boot, erkennen wir als Zitat aus CDFs „Der Morgen“ 1820/21 aus einem kleinformatigen Tageszeitenzyklus. Frage: Im Vordergrund deiner Auseinandersetzung mit diesen Gemälden stehen dabei für dich einerseits historisch bedeutsame, ästhetische Kategorien, wie das Erhabene und das Schöne, mehr aber noch die Materialität der Farbe… Könntest du dieses Verhältnis näher erläutern? Susanne Kiebler: Schönheit in der Kunst ist ein interessantes Phänomen mit unterschiedlichen Wertungen, die sie im Lauf der Zeit erfahren hat. Bis zum Beginn der Moderne hatte das Publikum kein Problem mit der Schönheit in Kunstwerken. Das ändert sich im 20. Jahrhundert. Die angesagte Kunst zu Beginn der Moderne und der Avantgarde (Anfang 20.Jh) wollte die bürgerliche Gesellschaft hochschrecken und herausfordern, indem sie mit dem Schock des Hässlichen operierte, des Provokanten, des Entstellten, des Ambivalenten…diese Haltung bestimmt bis heute den gängigen Kunstcode. Schönheit bereitet dem Kunstbetrieb sozusagen Bauchweh…Die Schönheit in Bildern gilt als verdächtig. Kunst, die nicht schön ist, gilt gemeinhin als gut… Das bedeutet, dass es momentan sogar provokativ ist, Bilder zu malen, die Ästhetik ausstrahlen, die nach allgemeiner Vorstellung schön sind. Auch dieser Gedanke beschäftigt und bewegt mich bei der Konzeption meiner Kunst. Andrea Gamp: Im Ausstellungskatalog hat Barbara Marie Hofmann wunderbar in poetische Worte gefasst, was für dich hinter der Entscheidung für die beiden besonderen Formate – Tondo und Leporello steckt. Der Tondo, an sich abgespeichert als kreisförmige Florentiner Renaissance-Kunst, begegnet uns hier in der Werkgruppe „Runder Blick I-VI“. Die Gebirgspanoramen ‚entfalten‘ sich buchstäblich in Leporellos (im Singular bekanntlich der Name einer Opernfigur, Don Giovannis Diener, der die Liste der Eroberungen verwaltet). Präsentiert werden deine Leporellos nicht über die ganze Bretterbreite – damit Betrachteraugen angesichts des piktoralen ‚Ziehharmonikaspiels‘ herausgefordert bleiben! Frage: Warum nutzt du diese Formate und was verbindest du damit? Susanne Kiebler: Mit den Leporellos nähere ich mich den Motiven an: Ich wandere zeichnerisch mit einem Pinsel und Tusche durch ein Gemälde von CDF oder durch eine fotografierte Berglandschaft. Ich bewege mich darin, drehe mich um, -wie sieht die Baumgruppe von hinten, von der Seite aus? Es sind 360-Grad-Blicke, die entstehen… Und das halte ich auf einem Papierstreifen (von vier Metern Länge) fest. Und die runden Formate sind für mich der perfekte Ausschnitt – wie ein Blick durch ein Fernrohr: Man bleibt auf Distanz und sieht das, was fern ist, ganz nah und im Detail. Bei uns zuhause stand immer Vaters großes Fernrohr im Wohnzimmer, der damit Himmelsdetails beobachtete. Ich habe immer Details unseres großen Gartens und des weiter entfernt liegenden Waldes beobachtet. Die runden Formate erinnern mich an meine Blicke durch das Fernrohr...

















