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Like Rachel - still life
Annäherungen an Rachel Ryusch

2024 - 2025

Rachel, Caspar F. und ich Wer ist denn Rachel? Wer Caspar F.? Und mit ich meint die Künstlerin wohl sich selbst – aber auch das klärt noch nicht, wer sie denn ist. Als Susanne Kiebler in den 80iger Jahren mit einer Mappe feiner Zeichnungen an der Münchner Akademie der Künste angenommen wurde, wurde ihr schnell bedeutet, dass es nicht die Zeit der Zeichnungen sei, sondern des gestischen Umgangs mit Farbe, der Schüttungen, des vom Zufall gesteuerten Farbauftrags, des Informel, der Abkehr von aller figurativen Darstellung. Die junge Studentin nimmt so manches davon auf in ihr malerisches Werk seither und entwickelt sich doch eigenständig: in ihre bewegten Farbflächen mischen sich umrisshaft zeichnerische Elemente, reduzierte Konturen von Alltagsgegenständen, ein Stuhl, ein Tisch, ein Boot. Oft beginnt ihre Arbeit mit einer fotografischen Abbildung, einer Schneelandschaft etwa, deren formale Qualität sie interessiert, der Gegensatz von Licht und Schatten, die Übergänge von Schwarz zu Weiß, der Reichtum der Grautöne dazwischen. Susanne Kiebler wird eine Landschaftsmalerin, die sich auf Details der Farbgebung konzentriert, Ausschnitte wählt, die sich lösen von einer fotografisch festgehaltenen Figur, und Himmel und Horizont, Grundelemente der Landschaftsdarstellung, malerisch abstrahierend fassen. Susanne Kieblers Werk behauptet sich in einer allgegenwärtigen Bilderflut, sie selbst aber sucht immer mehr nach klaren, nicht beliebig austauschbaren Bezugspunkten, Motiven, die sich in ihrem inneren, durch kunstgeschichtliche Studien wie lebhafte Reiseeindrücke geprägten Bildarchiv als klassisch erweisen. Sie findet Rachel und Caspar F. Mit Rachel Ruysch, der niederländischen Stillebenmalerin des 17. Jahrhunderts, fühlt sie sich schon seit ihren Münchner Studienjahren verbunden, immer wieder hat sie deren Werk in der Alten Pinakothek studiert. Erst jetzt, Jahrzehnte später, nimmt sie deren Blumenmotive in all ihrer barocken Fülle und Opulenz auf und verortet sie mit ihren eigenen künstlerischen Mitteln in der Gegenwart. Dem detailliert und delikat ausgearbeiteten Naturalismus der Feinmalerin Ruysch folgt sie nicht. Sie lässt sich von Ausschnitten der Ruysch-Bilder leiten, wählt einzelne Motive, die Blütendolde, den Schmetterling, hält sie in Schwarz-weiß-Fotografien fest, zoomt die im Original kleinformatigen Details zu beträchtlicher Größe auf feinem Papier heran, nimmt die entstehenden Unschärfen in ihren Arbeitsprozess bewusst auf, fügt die Objekte collagierend ein in die malerische Gesamtkomposition, die geschütteten Acrylfarbflächen, die mit einem riesigen Pinsel aus vier mongolischen Pferdeschweifen erarbeiteten Tuscheschlieren, und malt und übermalt. Es entsteht ein Blumenstilleben, gegenwärtig in seinen aufgelösten Formen, der zerrissenen Komposition der einzelnen pflanzlichen Bestandteile, der zu freien Farbtupfern verdichteten Blütenpracht in Rosatönen. Gegenwärtig, aber zweifelsfrei ein Abbild eines Blumenbouquets, viel figurativer als es Susanne Kieblers bisherige Arbeiten hielten und nachvollziehbar in der Korrespondenz zu Rachel. Wie sehr sie sich an deren barocker Zugangsweise orientiert, zeigt die Hintergrundfarbgestaltung: auch Kiebler malt aus dem Dunkel heraus, einem bewegten Grau-Schwarz, auf dem die rosa-rottönigen Blütenblätter, die hellen Konturen der Stängel und Stiele kontrastieren. Girlandenartig darüber gelegt finden sich Linien, filigrane Papierbahnen, ausgeschnitten aus Tuschzeichnungen, die den dunklen Hintergrund spiegeln. Wie frei Susanne Kiebler aber diese Transformationsprozesse denkt, wie eigenständig sie den Bogen vom Barock in die Gegenwart spannt, lässt sich schon in der Wahl ihres Bildformats lesen: der kreisrunden Form des Tondos, das ihrer Vorliebe für Bildausschnitte entgegenkommt und wie ein Guckloch die Blicke auf die Welt bündeln kann. Die Form des Tondos wendet Susanne Kiebler auch in ihrem malerischen Rückgriff auf Caspar F. an, den Landschaftsmaler der Romantik, vom frühen 19. Jahrhundert bis in unsere Gegenwart strahlend. In ihrem bewussten Innehalten angesichts der unablässigen Bilderfolge, die unsere Alltagsmedien bereithalten, kommt Susanne Kiebler auf die Malerei Caspar David Friedrichs: die Stille und Weite seiner Landschaften, die Sehnsucht, Endliches zu überwinden, die Menschenferne. Allerdings bringt Caspar F. seine Bildmotive genauso wenig wie Rachel je in eine Tondoform. Susanne Kiebler aber fokussiert Details seiner Gemälde, eine Baumgruppe etwa, und lässt diese in schlichtem Schwarz-Weiß-Grau, Papier auf einem Holzgrund erscheinen. Ähnlich wie in früheren Werkgruppen interessiert sie auch hier die serielle Darstellung, die Abwandlung einer Blickperspektive, die zu einer neuen Arbeit führt. So bearbeitet Susanne Kiebler Friedrichs Gemälde Das große Gehege nicht nur in zwei Tondi, sondern auch in einem dritten, großformatigen Werk, 1,60 cm x 1,80 cm, das die Ausmaße des Originals, 73,5 cm × 102,5 cm, übertrifft und damit den Spielraum für ihre Malerei vergrößert. Der Bildkomposition dieses bekannten Spätwerks Friedrichs von 1832, im Vordergrund die von Wasserläufen durchzogene Ebene, begrenzt von dunklen Baumgruppen, einem im Fluss dahinsegelnden Lastkahn im Hintergrund, der sich darüber weit aufspannende Himmel, nähert sich Susanne Kiebler deutlich an – und löst Caspar F.s detailgenaue und vielschichtig lasierende Malweise in bewegte, abstrahierende Farbflächen auf. Wie bei Caspar F. leuchtet auch Kieblers Himmel, aber nicht in mildem blau-gelbgold sondern rosa-weiß, grauschlierig durchsetzt. Gegenwärtig sind es die hellen bis mittleren Rottöne, bis hin zu einem kräftig-lebendigen Pink, die Susanne Kiebler in ihrer Acrylfarbpalette mit Vorliebe mischt. Oder findet: das markante Rosa der italienischen gazetta dello sport etwa, deren Zeitungspapier sich ohnehin für die Collageelemente eignet, aber auch als Malgrund dient, von dem aus sich die Laubkrone eines Baumes in einem transparenten Herbstrosarot gestalten lässt, und die Druckbuchstaben als Geäst durchscheinen. Die gazetta dello sport-Bäume finden sich mehrfach in Kieblers Leporello-Arbeiten, großformatige Bilder-Bücher in Zickzackfaltung, die sie selbst herstellt. Auseinandergezogen, Blatt um Blatt, geben sie den Blick frei auf eine Parklandschaft, die sich aus einer Baumgruppe ergibt, wie sie Caspar F. gemalt hat und die nun als Schwarzweiß-Kopie collagiert ist in eine Reihe Büsche und Bäume, mit freiem Pinselstrich gezeichnet, reduziert auf Grundformen von Blatt, Geäst und Stamm. Rachel, Caspar F. und ich – Susanne Kieblers Werk legt Spuren, die Vergangenes gegenwärtig machen, und darin, unabhängig von Entstehungszeit und Wirkgeschichte, malerische Freiheit, Eigensinn und Autonomie anschaulich. Dr. Dolores Claros Salinas, September 2025

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