Memory - no lasting impression
Annäherungen an gefundene Spielkarten
2012 - 2014
Diese Ausstellung erzählt von einer langen Geschichte. Einer Geschichte ohne Anfang und Ende. Es ist die, alle Zeiten überdauernde Geschichte vom Suchen, Finden und Verlieren, vom Enthusiasmus des Erfindens, von der Qual der Wahl. Die Geschichte erzählt von verstaubten Büchern, von den Hinterlassenschaften ganzer Völker, von den Fertigkeiten und Weisheiten alter Frauen und Männer, von vergessenen Welten und verborgenen Schätzen. Sie erzählt vom Brachland, von Spurenleserinnen und Zeichensetzern. Diese Ausstellung ist ein mäandernder Prozess. Susanne Kiebler fand ein altes Memory aus den Siebzigern mit so langweiligen Landschaften darauf, dass dem Erinnerungsvermögen nichts zum Festhalten, dem Gedächtnis kein Anreiz zum Wiedererkennen geboten wird. Bildchen, die keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ein sehr schwieriges Memory, ein gar funktionsuntaugliches Memory, das dem Grundgedanken dieses Spielt zutiefts zuwiderläuft. Es war genau diese Kleinigkeit, diese paradoxe Motivwahl, die obskure Farbigkeit der kleinen quadratischen Kärtchen, die den Impuls gab, genauer hinzusehen. Und Susanne Kiebler sah mehr. Sie sah Sinnlichkeit und Freiheit. Ein anderes Mal ist es die Exaktheit eines Millimeterpapiers oder der gekonnt gezeichnete Strich des Architekturzeichners, das grobe Raster eines Digitaldrucks, das sie inspiriert. Ich zitiere aus Fernado Pessoas "Buch der Unruhe" eine Stelle, die Susanne Kiebler gefunden hat: "Das Kleinste schmeckt nach Unwirklichem. Das Nutzlose ist schön, weil es weniger wirklich ist, als das Nützliche, das sich fortsetzt und verlängert, während das belanglos Wunderbare, das unendlich kleine Glorreiche bleibt." Gestapelt, geschichtet und übermalt - in der Bearbeitung negiert Susanne Kiebler die noch lesbaren Botschaften, alle Kennzeichnungen werden ignoriert, sie setzt sich darüber hinweg, setzt etwas anders darüber hinweg. Sinnentwertung und Sinnverwerfung gehen mit der kreativen Schöpfung einher. Die Künstlerin bricht die Intensität und Dichte auf und faltet die Bedeutungslosigkeit auf. Der Zug der Trennungslinie, ist gleichzeitig die Gestaltung der Leerstelle oder des Weiß, das mitgezeichnet wird. Susanne Kiebler kreiert im Bann jenes Denkens, jener Schöpfung, die aufbricht und nicht besänftigt werden kann, weil sich mit dem Aufreißen der Lücke, die Lücke selbst offenbart. Und je fragmentarischer die Linien und damit die konkreten Formen werden, desto raumbildender und lebendiger wird die Leerstelle, die Aussparung, das Weiß. Wann und wo genau zieht man die Trennungslinie, zieht das Weiß in die Unendlichkeit der Erzählung hinüber? Es ist die leidenschaftliche Frage der Genauigkeit, der Susanne Kiebler nachgeht. Es ist die exakte Setzung zwischen Etwas und Nichts. Es ist jene labile Balance, zwischen Perfektion und Improvisation, der Zustand der perfekten Unvollkommenheit, den das Kunstwerk darstellt. Dann erst treffen sich tiefentrunkenes Weiß und luftiges Schwarz, rein fügt sich Schwarz an Weiß, setzt sich daneben, steigt hoch hinauf und bleibt liegen. Oft ist das Weiß so dicht, dass es über die Ränder der Bilder hinaus mäandert, Durchgänge markiert und Übergänge beginnt oder Anklänge der Unabschließbarkeit hervorbringt. Es ist das Geschick, das die perfekte Unvollkommenheit entstehen lässt. Geschick meint einerseits eine Fähigkeit, ein Können und gleichzeitig bedeutet es auch Schicksal, eine höhere Macht, die unerklärbar wirkt und beeinflusst. Absichtsvoll hält sich Susanne Kiebler auf dem doppelten Boden dieses Geschicks auf und erhält das Fragmentarische, indem sie es vervollkommnet. Auszug aus der Vernissagerede vom 23.11.2012 in der Neuwerk Kunsthalle von Helga Sandl / Kunstwissenschaftlerin.










