>> Weite Stille – Berge <<
Berge im zeichnerischen und malerischen Werk von Susanne Kiebler
In der Malerei und besonders in den Zeichnungen von Susanne Kiebler nehmen Berge seit Jahren eine zentrale Rolle ein. Sie bilden Ursprung, Scharnier und Ankerpunkt für künstlerische Verfahren und Bildentwicklungen in ihrem Werk. Kieblers intensives Interesse für Oberflächenbeschaffenheiten in Textur, Struktur und Liniengefüge findet besonders in der Welt der Hochgebirge seinen geeigneten Widerpart. Aber auch weite, karge Landschaften wie jene der mongolischen Steppe geben der Künstlerin dafür zahlreiche Anknüpfungspunkte wieder: davon zeugt der umfangreiche Zyklus ihrer „Mongolischen Zeichnungen“, der im Anschluss an ihre mehrmonatige Dozententätigkeit in Ulan Bator, der Hauptstadt der Mongolei, 2015 bis 2016 entstanden ist.
Die bildnerisch-künstlerischen Eindrücke, die Susanne Kiebler während ihrer Reisen in die Mongolei und nach China gewonnen hat, sind in ihre eigene zeichnerisch-malerische Befassung mit Bergen des europäischen Hochgebirges ausdrücklich eingeflossen. Beide Kulturkreise funktionieren für ihr künstlerisches Werk als Inspirationsquellen daher gleichermaßen. Zwischen ihnen liegen, in räumlicher Entfernung betrachtet, Tausende von Kilometern – auf einer Leinwand von Susanne Kiebler dagegen trennt sie nicht ein Pinselstrich.
Beim Anblick der hier in der Galerie Bagnato versammelten „Bergansichten“, die von Susanne Kiebler herrlich und grundlegend entleert worden sind, mögen eigene Bergerinnerungen durchaus hochkommen. Doch das allein bliebe nur vordergründig. Weder ahmen ihre Zeichnungen traditionelle Bergromantiken nach noch bedienen sie tagebuchähnliche Reisedokumentationen. Statt dessen huldigt sie, ähnlich wie andere zeitgenössische Landschaftskünstler auch, formal sowie inhaltlich einer bildnerischen Entflechtung: Susanne Kiebler pflegt konsequent das reduzierte Zeichnen. Weglassungen und Aussparungen prägen dessen Gesicht. Hinzu kommt: Was aus der Distanz gesehen als eine Bildkomposition auf einer Leinwand erscheint, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ein Gefüge aus einzelnen, gerissenen Papierfragmenten mit malerisch-zeichnerischen Bildelementen, die die Künstlerin auf einer Leinwand zueinander gebracht hat.
Erinnerungen an eigens absolvierte Skitouren im Hochgebirge und gestalterische Visionen, die im Atelier selbst entstehen, verbinden sich bei Susanne Kiebler zu kompositorischen Bildsynergien. Zusätzlich werden diese Synergien durch die Künstlerin um jene Einblicke erweitert, die sie in bestimmte asiatische Kunsttechniken wie in Kalligraphie, Materialkunde und zu Haltung und Führung von Pinseln erhalten hat. Dadurch entstehen faszinierende lineare und räumliche Gefüge mit akzentuierten Setzungen sowie mit Bild wichtigen Leerstellen. Außerdem erhalten so auch solche Interpretationen Raum, die sich von äußerlichen Bilderscheinungen weg hin zu inneren Bildern und eigenen Anschauungen bewegen.
Joachim Schwitzler