>> Die Welt ist eine Spanne kein Punkt – Landschaft <<
Gedanken über und mit Susanne Kiebler
Von Barbara Marie Hofmann
Ein Rechteck, ein Quadrat, ein Kreis, ein Blick, ein Blick, ein Blick.
Ein Blick, der auf etwas fällt [ein dumpfes Geräusch, vielleicht ein kurzes Knirschen]
Etwas, das in einiger Entfernung liegt.
Hast du‘s gehört? Hörst du‘s?
Was in Schnee fällt, das fällt leise.
Schnee, Schnee, Schnee.
Baum, Bäume.
Dazwischen: Etwas Helles, das sich vom Dunklen trennt.
Etwas Dunkles, das sich vom Hellen trennt.
Dazwischen (zwischen dir und dem anderen): immer die Weite.
Willst du in die Ferne sehen, dann form die Hand zum Fernrohr. Leg deine Finger vor dein Auge, schließ die Finger, bieg sie wie um einen Flaschenhals.
In dieser Position, schau hindurch.
Erinnerungen:
- In jungen Jahren auf einem Berg stehen, von dort ins Tal blicken (und die ganze Welt ist Tal, da alles
unterhalb der eigenen Blicklinie liegt). Was weit weg liegt, ist besonders nah. Die Welt ist eine Spanne
kein Punkt. Mittendrin ist geborgen, ist zuhause.
- Durch eine weite weiße Landschaft gehen. Eine Horde dunkler Pferde läuft über eine Ebene aus
Schnee. Sie lassen ihre Schweife zurück, zeichnen eine dunkle Linie.
- Sehnsucht haben. Nach Stille. Nach Farben.
Susanne Kieblers Bilder erzählen vom Unterwegssein, vom Blick eines Körpers, der entweder steht und blickt oder sich bewegt und blickt. Die Augen leicht geschlossen, wie wenn helles Licht ins Auge dringt und man versucht, klar zu sehen, weiter zu sehen.
Woher kommen diese Bilder? Susanne Kiebler reist. Viele Male hat sie die Mongolei besucht, hat dort Kinder unterrichtet, Sprachen gesprochen, mit ihnen gezeichnet. Linien, die sie von zuhause, aus ihrer Ausbildung als Grafikerin mitgebracht hat. Und die sie dorthin begleiten, die sie anwendet zwischen Berg und Berg und Schneeebene.
Was Susanne Kiebler von ihren Reisen mitgebracht hat:
- Ein Blick. Zwei Blicke. Drei Blicke. Gefaltet, geebnet, geschnitten.
- Bilder von Landschaften (die sie hinter den Augen trägt)
- Eine Auswahl an Farben (Schnee hat unzählige Töne und doch ist sein Merkmal, dass er sich immer
hell von allem anderen absetzt)
- Zwölf mongolische Pferdeschweife, mit denen sie zeichnet. Oder eher: die selbst zeichnen. Ein
dick gebündelter Schweif dunkler drahtiger Haare, zu einem hängenden Pinsel gefasst, getragen
von einer Konstellation aus Draht, die sich wie ein schwingendes Trapez über den Boden bewegen
lässt. Susanne zieht und fährt und taucht. Der Schweif, getränkt mit Farbe zeichnet Bewegung.
Schlieren, Spuren, Linien, die sich über Papier und Papiere ziehen.
Ein geometrischer Blick steht am Anfang von Susanne Kieblers Arbeiten. Landschaft wird grafisch zerlegt,
Raum wird in seine Stücke zerteilt. In Nähe und Weite. In Linien und Formen. In Bestände aus Hell und
Dunkel. Alles lässt sich in Geometrie aufteilen, in Bruchstücke. Ein geometrischer Anfang, der dann seine
Starrheit auflöst, die eigene Form in verschiedenen Etappen transferiert. Aus Klarheit wird Umriss,
Umgebung. Oft führt Kiebler diesen Prozess auch im Material selbst fort. Bemalte Papiere werden
zerschnitten, zerrissen, überlagert, überklebt und erneut bezeichnet. Landschaft wird zum Prisma, im Auge
und in der Hand.
Und dann noch: Wald, rund
Einen anderen Blick zeigen Kieblers runde Bilder. Kleine und große. Als hätte man ein Loch in die Luft geschnitten, schaut darin hindurch, sieht dort einen Wald. Einen dunklen Wald, einen hellen Wald. Einen
romantischen Wald, einen gefährlichen Wald. Einen Wald in lila und rot, einen in blau und grün. Einen
verhangenen, einen lichten Wald. Eine Ansammlung von Bäumen, auf die der Ausschnitt eines Blicks fällt.
Die runden Blicke erinnern an etwas. Sie erinnern an Erinnerungen, die wir haben, von früheren Bildern, die
wir kennen. Romantische Bilder. Wanderer. Auf Felsen, im Meer. Nur ohne Wanderer. Stifter im Wald. Ohne Stifter. Ein Zusammensein von Natur und Mensch, in dem die Natur ohne den Menschen ist. Nur derb Blick ist anwesend. Der Blick, der nach Natur Harmonie Schönheit sucht. Eine klassische Sicht der Romantik, die neu interpretiert wird. Durch die runde Form, den fast voyeuristischen Blick, den dieser Ausblick wählt.
Eine Sache noch, an die ich denke bei Susanne Kieblers Arbeiten: Stille weite Landschaft, in der aber niemand einsam ist. Nicht der Schnee, nicht die Berge und nicht der Wald. Niemand ist hier. Niemand ist einsam hier. Auch wir nicht, sollten wir dort sein. Im Fall der Fälle also: Falle ruhig durch diesen runden Blick. Einem wird dort nichts passieren. Man wird nicht einsam sein. Denn in dieser Weite fühlt sich alles recht nah an.
das runde
das weite
vor dem auge eine sprung
sitzt nah dir am kinn
zeichnet eine linie
daraus einen berg einen wald darin bäume
fließen zeichnen schneiden
schweifen schweifen schweifen
ein blick ist ein rundes loch in das ich falle und
du kommst an einer weiten Ebene an
etwas wie einem definierten Raum